Von DÜnkirchen bis biarritz
Der Atlantikwall in
Frankreich
Im Frühjahr 1942 entschloss sich Hitler, die Küsten Westeuropas
zu befestigen, mit der Absicht, eine Landung der Alliierten auf
dem europäischen Festland zu verhindern.
Im Juni 1944 umfasste dieses, immer noch im Bau befindliche
gigantische Befestigungssystem, das von der Spitze Norwegens bis
an die Pyrenäen reichte, rund 15.000 betonierte
Befestigungsanlagen mit mehr als 3.000 Geschützen. Diesem
Bollwerk, das als der "Atlantikwall" in die Geschichte einging,
wurde von der deutschen Führung die Aufgabe zugetragen, die
erwarteten alliierten Landungsoperationen zu verhindern oder
zumindest so lange zu verzögern, bis genügend Panzerkräfte aus
dem Hinterland herangezogen werden konnten, um den Gegner wieder
zurück ins Meer zu werfen.
Zu den Eckpfeilern des Atlantikwalls gehörten die drei besetzten
englischen Kanalinseln sowie U-Bootbasen und wichtige Seehäfen.
Sie wurden Anfang 1944 wegen ihrer besonderen Bedeutung als mutmassliche Invasionsziele zu Festungen erklärt.
Die Gefahr einer alliierten Landeoperation auf dem besetzten
Kontinent beschäftigte die deutsche Werhrmachtsführung erstmals
nach dem Kriegseintritt der USA. Am 14.12.1941 erging eine
Weisung, wonach die Küsten Westeuropas vom Nordkap bis zur
Biskaya in einen "zweiten Westwall" verwandelt werden sollten.
Die Phase der offensiven Kriegführung im Westen wurde damit
offiziell durch eine Verteidigungsstrategie abgelöst, die im Bau
des Atlantikwalls ihren sichtbaren Ausdruck fand. Der britische
Erkundungsvorstoss gegen den Küstenort Dieppe am 19.8.1942
bewies die Dringlichkeit der Sicherung der Westflanke gegen eine
Zweite Front der Angloamerikaner.
Wie beim Bau des Westwalls inszenierte Goebbels eine massive
Propaganda-Kampagne, um die Unbezwingbarkeit dieses Bollwerkes
zu verdeutlichen. Die "offensive Grosskampfbatterie" bei Cap
Gris Nez war eines jener Paradebeispiele, die der eigenen
Bevölkerung und der Weltöffentlichkeit die hohe Kampfkraft der
"Festung Europa" suggerieren sollten. Doch die Wirklichkeit
zeigte sich ganz anders: an vielen Orten litt der Festungsbau am
Atlantikwall unter Konzeptions-losigkeit, Kompetenzgerangel und
Materialmangel, der sich bei wachsender alliierter
Luftüberlegenheit immer weiter zuspitzte.
Die Küsten- und Festungsartillerie am Atlantikwall setzte sich
aus Geschützen von 28 verschiedenen Kalibern zwischen 7,5 cm und
40,6 cm zusammen, wobei auch Schiffsgeschütze, sowjetische,
französische und tschechische Beutekanonen sowie museumsreife
Modelle aus dem Ersten Weltkrieg zum Einsatz kamen.
Die deutsche Führung erwartete die alliierte Invasion an der
engsten Stelle des Ärmelkanals: am Pas de Calais.
Hier konzentrierten sich die meisten Verteidigungswerke und
Batterien. Von 547 Geschützen der Marineartillerie in Belgien
und Nordfrankreich waren 132 am Pas de Calais massiert. Weniger
exponierte Küstenabschnitte waren sehr viel schwächer gesichert.
Das galt auch für die Seinebucht zwischen Le Havre und
Cherbourg, dem Schauplatz der alliierten Landung. Diese Region
wurde von 47 weitreichenden Marinegeschützen bewacht, von denen
allerdings nur 27 in Betonkasematten verbunkert waren. Nur 4 von
17 Küstenbatterien schossen auf Seeziele.
Niemand kannte die Schwächen des Atlantikwalls besser als
Generalfeldmarschall Rommel, der seit Ende 1943 als Inspekteur
der Küstenverteidigung die Entscheidungsschlacht im Westen
vorbereitete. Er war angesichts der erdrückenden gegnerischen
Luftüberlegenheit überzeugt, dass sich die Invasion wenn
überhaupt, dann nur in den ersten 48 Stunden am Strand
zurückschlagen liesse. Im Wettlauf mit der Zeit versuchte er im
Frühjahr 1944 durch Bauarbeiten der Truppe Versäumtes
nachzuholen. Gegen Luftlandungen im Hinterland wurden auf
Feldern und Wiesen baumlange Pfähle ("Rommelspargel") in den
Boden gerammt. Die Strände liess er mit einem Gürtel aus
zersägten Eisenträgern ("Tschechenigel"), Auflaufblöcken und
verdrahteten Betonpfosten bespicken. Die verminten
Vorstrandhindernisse sollten nach Art künstlicher Korallenriffe
Amphibienfahrzeuge und Landungsboote aufschlitzen und eine
Landung verraten.
Die Alliierten kamen aber entgegen allen Prognosen nicht nur an
einem völlig unerwarteten Ort, sondern auch zu einem
überraschenden Zeitpunkt: Am frühen Morgen des 6. Juni 1944
landeten sie bei Ebbe an insgesamt fünf Stränden der Normandie.
Dank absoluter See- und Luftherrschaft durchbrachen sie schon am
ersten Tag an vier der fünf Landungsabschnitte den Atlantikwall.
Cherbourg und Le Havre, die zwei grossen Hafenfestungen im
Invasionsraum, wurden nach Konsolidierung der Brückenköpfe von
Land her aufgerollt und zur Kapitulation gezwungen.
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